Entlassung der 10. Klassen, Jahrgang 2004/05



Predigt zur Entlassfeier der 10. Klassen, Jahrgang 2004 / 2005

Liebe Sch?lerinnen und Sch?ler,
liebe Festgemeinde,

    junge Damen, die entgegen allen Bef?rchtungen ihrer Umwelt doch noch rechtzeitig vor 16.00 Uhr aus dem Badezimmer gekommen sind;
    junge Herren, deren kleidungsm??iges Outfit sie bis zur Unkenntlichkeit optisch verbessert hat;
    M?tter, deren Sorgenfalten vermuten lassen, dass sie doch noch die Frage bewegt, ob die rote Krawatte ihrem Sohn nicht besser zu Gesicht gestanden h?tte als die nun gew?hlte blaue;
    V?ter, die verwirrt dar?ber nachdenken, wie es kommen kann, dass ihre Kinder in den letzten drei Wochen um vier Jahre gealtert sind;
    Omas, die schon mal probeweise ein kleines Tr?nchen der R?hrung wegputzen;
 ---  es muss Schul-Entlassfeier sein.
 
Und wie in jedem Jahr bewegt den Prediger des Abschlussgottesdienstes die Frage: ?ber was rede ich?
Was gebe ich meinen Sch?lern ? und damit sind alle 75 gemeint ? mit auf den weiteren Lebensweg?
Es ist ja eine ? zumindest vorl?ufig ? letzte Gelegenheit, Wichtiges weiterzugeben, die ein Mensch wie ich nicht ungenutzt verstreichen lassen kann. 
Kam die entscheidende Idee bei den letzten Entlassfeiern zumeist drei Minuten vor Zw?lf, so war es dieses Mal anders. Seit vielen Monaten schon bewegen mich zwei S?tze eines meiner Lieblingsautoren ? der Apostel Paulus ?, die er vor ann?hernd 2000 Jahren an die Christen in Korinth geschrieben hat.
Nach einer modernen ?bersetzung h?ren sich diese beiden S?tze so an: 
1. Korinther / Kapitel 7
23 Christus hat einen hohen Preis f?r euch gezahlt. Ihr geh?rt allein ihm; werdet also nicht wieder von Menschen abh?ngig! (Hoffnung f?r alle)
Wer eher die Luther-?bersetzung kennt: Dort hei?t es: 
23 Ihr seid teuer erkauft, werdet also nicht der Menschen Knechte. (Luther)
Drei Gedanken m?chte ich Euch und Ihnen heute ans Herz legen, die sich in drei W?rtern zusammenfassen lassen, die alle mit einem ?G? beginnen:
     Ihr seid geliebt.
     Ihr seid gefordert.
     Ihr seid getragen.

 1. Ihr seid geliebt.
(Paulus: ?Ihr seid teuer erkauft!? = ?Christus hat einen hohen Preis f?r euch gezahlt.?)
Es war in der letzten Woche in einer 7. Klasse. Und wie es dann so passiert: Mitten im Unterricht klingelte ein Sch?ler-Handy. Schnell war der ?belt?ter identifiziert und das Handy meins.
Mir wird noch lange der entgeisterte Blick im Ged?chtnis bleiben, der mich und das entschwindende Handy verfolgte.
Da brach f?rmlich eine Welt zusammen. Da hatte man so lange gespart, ein Gro?teil des Taschengeldes investiert. Und nun verschwand das geliebte Handy in der Tasche des Lehrers. Einfach tragisch! 
Ein anderes Beispiel:
Egon und Elvira (die Namen sind nat?rlich aus Datenschutzgr?nden ge?ndert) waren sich schon viele Monate in inniger Liebe zugetan. Und nun stand Elviras Geburtstag bevor. Egon ?berlegte lange, womit er seiner Traumfrau eine Freude machen k?nnte und horchte immer wieder genau hin, ob sie nicht einen Hinweis fallen lie?e.
Und da passierte es dann: Bei einer Shopping-Tour hing Elvira ganz verz?ckt an einer Testerflasche in der Parf?merieabteilung. Hinter ihrem R?cken schaute er unauff?llig auf das Preisschild unter der Packung. Nachdem die Farbe ins Gesicht zur?ck gekehrt war, war ihm klar: das musste er investieren. Das war Elvira ihm wert. 
Wenn unser Herz an etwas oder an jemandem h?ngt, dann ist uns das viel wert. Dann ist uns auch nichts zu teuer. F?r das, was wir lieben, sind wir bereit viel zu investieren. 
?Ihr seid teuer erkauft?, schreibt Paulus. Und er will damit sagen: Ihr seid Gott etwas wert. Ja, Ihr seid ihm nicht nur etwas wert, sondern Ihr seid ihm sein Liebstes wert: seinen Sohn Jesus Christus. So sehr hat er dich und mich lieb, dass er seinen Sohn f?r uns gegeben hat.
Und weil er das tut, muss Gott uns unendlich lieb haben, sind wir wertvoll f?r ihn.
Das ist das erste und wichtigste, und das solltet Ihr nie vergessen: Gott hat jeden einzelnen von Euch unendlich lieb.

 2. Ihr seid gefordert.
(Paulus: Werdet nicht der Menschen Knechte. = Macht Euch nicht wieder von Menschen abh?ngig.)
Das ist eine Forderung an uns, die mir zun?chst nicht so ganz glatt von der Zunge geht.
Unsere Lebensrealit?t zeigt uns doch oft etwas anderes.
Sind wir nicht in der Tat von vielen Menschen abh?ngig? Wie ist das bei Euch?
    Zuhause haben die Eltern zu sagen, bei manchen auch noch die Gro?eltern, vielleicht auch ?ltere Geschwister;
    in der Schule seid Ihr bis heute von den Lehrern abh?ngig, von der Schulleitung;
    bei einigen von Euch, die weiter zur Schule gehen, wird diese Abh?ngigkeit auch noch einige Jahre fortbestehen;
    und wer in eine Ausbildung geht, der hat einen Chef ?ber sich oder einen Abteilungsleiter, den Meister oder einen Gesellen.
    Aber damit noch nicht genug: Da gibt es ?mter und Beh?rden, die Forderungen an uns haben; staatliche Autorit?ten, Regierungen ? sie alle schr?nken unsere individuelle Freiheit ein.
Auf der anderen Seite ist es uns ja bewusst: ohne all diese Autorit?ten und Regelungen geht es auch nicht. Sonst w?rde das Chaos ausbrechen.
Und so d?mmert es uns: Den Traum von der totalen Freiheit k?nnen wir vergessen, die werden wir nicht erlangen und sie w?re wohl auch gar nicht gut f?r uns.
Wenn Paulus nun schreibt: ?Macht Euch nicht wieder von Menschen abh?ngig.? ? irrt er hier also? Jagt er einem Traum nach?
Paulus ist ein kluger Mann, und er w?rde nie gesunde Autorit?ten in Frage stellen.
Ihm geht es um etwas anderes:
Er m?chte, dass wir da, wo es um unser eigenes Leben geht und um die Frage, in welche Richtung es gehen soll, wir unser Leben auch selbst und verantwortlich in die Hand nehmen.
Er fordert uns auf, uns nicht in falscher Weise abh?ngig machen von anderen Menschen, von ihren Meinungen und Handlungsweisen.
Paulus geht es darum, dass wir uns um eigene, begr?ndete Positionen bem?hen und uns nicht treiben lassen von dem, was andere tun und denken.
Er will, dass wir Pers?nlichkeit sind.
?Werdet nicht der Menschen Knechte!?
Das hei?t ganz konkret:
    Denkt selbst!
    Bildet euch selbst eine Meinung ?ber die vielen Fragen Eures Lebens!
    Trefft selbst verantwortlich Entscheidungen ? und lasst nicht andere f?r euch denken und entscheiden!
    Begebt Euch nicht in fremde Abh?ngigkeit, wo sie nicht unentrinnbar gefordert sind!
    Seid nicht angepasst um jeden Preis! Seid auch mal unbequem! Denkt auch mal quer und nicht nur im Mainstream!
Und das gilt f?r alle Lebensbereiche: ob in Ausbildung und Beruf, ob in der Partnerschaft, ob im Freizeitbereich. Gott will uns als verantwortliche und denkende Menschen.
Mir ist noch heute ein Plakat in guter Erinnerung, dass ich vor vielen Jahren gesehen habe, auf dem zu lesen stand: 
Sei ein lebendiger Fisch. Schwimme gegen den Strom. ?
Nur tote Fische lassen sich treiben.
Ich hoffe sehr, liebe Sch?lerinnen und Sch?ler, dass es uns an dieser Schule gelungen ist, Euch dies zu vermitteln und deutlich zu machen.
Gott hat die Menschen und damit auch Euch nicht als willenlose Holzpuppen geschaffen. Ihr wurdet von ihm nicht geschaffen, damit Gott jemanden zum Herumkommandieren hatte. Die Bibel sagt vielmehr, dass Gott uns als sein Gegen?ber geschaffen hat. Als Gespr?chspartner, als geliebtes Kind. Will sagen: Er will mit uns Gemeinschaft haben.
Und wenn wir mit der h?chsten Instanz, mit Gott, Gemeinschaft haben d?rfen, dann kann es nicht sein, dass wir uns willenlos von anderen Menschen abh?ngig machen.

 3. Ihr seid getragen.
Ich wei? aus manchen Gespr?chen der letzten Monate, dass einige, vielleicht sogar viele, von Euch mit gemischten Gef?hlen in die Zukunft sehen und gehen.
  --  Ist der Weg, f?r den ich mich trotz vieler Unsicherheiten jetzt entschieden habe, wirklich der richtige?
  --  Werde ich mich an meiner n?chsten Schule, an meinem Ausbildungsplatz wohl f?hlen?
  --  Werde ich mit dem, was ich vorhabe, eine Zukunft haben?
Wir alle m?ssen damit leben, dass nicht jeder pers?nliche Wunsch in Erf?llung geht. Uns allen werden Umwege oder auch Sackgassen nicht erspart bleiben.
Die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verh?ltnisse in unserem Land sind bekanntlich nicht optimal. (Wobei ich in Klammern die Frage stellen m?chte, ob sie das jemals waren!)
Bei aller Unsicherheit und Unw?gbarkeit steht eins ?ber allem:
Wenn es stimmt, dass wir Gottes geliebte Kinder sind, dann wird er uns weder h?ngen noch umkommen lassen.
Bei allem Kribbeln im Bauch beim Denken an die Zukunft gilt eins unumst??lich: Ihr seid getragene Menschen. 
Wir haben eben den Psalm 23 geh?rt. Einige kennen ihn vielleicht noch vom Konfirmandenunterricht.
Ich m?chte noch einmal einige Kerns?tze aufgreifen:
Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen.
Er leitet mich auf sicheren Wegen.
Und geht es auch durch dunkle T?ler, f?rchte ich mich nicht. Du besch?tzt mich.
Deine G?te und Liebe werden mich begleiten mein Leben lang.
Als jemand, der schon bei der vierten Stufe einer Leiter Schwierigkeiten bekommt, bewundere ich Zeitgenossen, die in der Lage sind, eine Kletterwand hinaufzuklettern und sich dabei nur an kleinen Vorspr?ngen und eingeschlagenen Haken festhalten. Da ist nicht nur Kraft n?tig, sondern eine gro?e Portion Mut und Vertrauen.
Die Worte aus dem Psalm 23 sind solche sicheren Haken in einer Kletterwand. Ich kann mich daran festhalten und sie als Hilfe f?r den weiteren Weg nutzen.
Es sind vertrauensw?rdige Kletterhilfen durch den Klettergarten Eures Lebens, an denen Ihr Euch festmachen k?nnt. 
Halten wir also fest:
    Ihr seid geliebt. ? Ihr seid vor Gott und vor Menschen unendlich wertvoll.
    Ihr seid gefordert. ? Lasst Euch nicht treiben, sondern bewegt selbst etwas.
    Ihr seid getragen. ? Ihr k?nnt Euch auf die Hilfe Gottes f?r Euer Leben verlassen.
Ich w?nsche Euch, dass Ihr diese drei Punkte f?r Euren weiteren Lebensweg festhaltet und Euch daran festmacht. Dann geht Ihr ? bei aller Unsicherheit und bei allen offenen Fragen ? in eine gute Zukunft.
Amen.

(Detlef Faber)